Soooo…ich will ja hierbei auch etwas lernen und werde wohl eh mehrere Versuche starten müssen, deswegen denke ich, dass es wichtig ist, dass ich mal aufschreibe, was da jetzt an welcher Stelle eigentlich passiert und gemacht wird, weil ich sicherlich später mehrere Sachen anpassen und ändern muss.
Also: Wie funktioniert eine pflanzliche Gewebekultur?
Die pflanzliche Gewebekultur (häufig abgekürzt TC = tissue culture) ist eine Form der asexuellen Vermehrung von Pflanzen. Dabei macht man sich die Fähigkeit von Pflanzen, sich aus Zellen wieder komplett zu reproduzieren, zunutze. Am häufigsten werden dazu Sprösslinge, Blattteile, Sprossknoten, Wurzelknoten, Knospen usw. verwendet. Prinzipiell scheinen neuere Triebe besser geeignet zu sein als alte Pflanzenteile.
Der Prozess verläuft in mehreren Stufen:
1. Vorbereitung
2. Initiation/Einleitung
3. Multiplikation/Vermehrung
4. Anwurzeln
5. Akklimatisierung/Eingewöhnung
1. Vorbereitung
a) Sterilisation der Arbeitsumgebung und des -materials
b) Herstellung des Nährmediums
a) Sterilisation
Das Nährmedium bietet leider absolut optimale Wachstumsbedingungen für Pilze und Bakterien. Daher ist es wichtig, wirklich ALLES (auch die Pflanze!) zu sterilisieren, nirgendwo draufzuatmen usw. Labore haben dazu fancy Equipment und Werkbanken mit Glasscheiben und Luftabzügen. Sowas hat natürlich kaum jemand zuhause und das wird wahrscheinlich (neben der Zusammensetzung des Nährmediums) das grösste Problem. Ich werde dafür folgende Vorkehrungen treffen:
- Alles, was druck- und hitzebeständig ist (Erlenmeyerkolben, Skalpell, Alufolie usw.) wird im Dampfkochtopf im Wasser abgekocht (15psi, 15 Minuten lang)
- Alles, was das nicht aushält (Gläschen für die Anzucht usw.), wird gründlich mit Spülmittel abgewaschen und dann noch einmal mit verdünntem Chlorreiniger noch einmal gewaschen. Sämtliche Oberflächen gründlich schrubben und dann noch einmal mit Desinfektionsmittel (Putzalkohol o.ä.) noch einmal gründlich abwischen.
- Besteck zwischendurch über Flamme sterilisieren, angefasste Sachen immer wieder mit Desinfektionsmittel reinigen
- Maske tragen und an heiklen Stellen Luft anhalten ^^
- Handschuhe tragen (und desinfizieren) …vor allem meinen Händen zuliebe
- Destilliertes Wasser verwenden (v.a. wegen der Mineralien und Nährstoffe im Leitungswasser, über die wir sonst nicht genug Kontrolle hätten)
ACHTUNG: Giftstoffe!!!
ACHTUNG2: In den Dampfkochtopf darf wirklich nur, was mit dem Druck und der Hitze klarkommt – gerade beim Glas supervorsichtig sein, das platzt sonst.
ACHTUNG3: Wenn das Zeug aus dem Dampfkochtopf kommt, ist es WIRKLICH sehr heiss. Ofenhandschuhe o.ä. benutzen.
b) Nährmedium
Im Labor wird als Grundmedium meist ein Murashige-Skoog-Medium (kurz MS0, sh. https://www.biologie-seite.de/Biologie/ ... oog-Medium) verwendet, dem zusätzlich speziell auf die Pflanze abgestimmte Wachstumshormone (Cytokininlösung und Auxinlösung), Kohlenhydrate und weitere Nährstoffe hinzugefügt werden. Cytokinin fördert die Zellteilung und das Streckenwachstum, Auxin wird für die Zellteilung, das Zellwachstum und die Wurzelbildung benötigt. Ausserdem wird Pflanzenschutzmittel hinzugefügt (eben wegen der Bakterien usw.). Dazu kommt dann meist noch Agar, damit das Ganze dann ein Gel wird und das Pflänzchen etwas zum Festhalten hat. Einige Pflanzen benötigen 2 verschiedene Medien, erst eines für die Grundvermehrung und dann ein zweites fürs Anwurzeln, in welchem mehr Auxin und kein Cytokinin mehr enthalten ist.
MS0 usw. kann man mittlerweile (online) kaufen. Aber wir sind hier ja eine DIY-Community, deshalb werde ich für den ersten Versuch mein Medium selbst herstellen. Ich orientiere ich hierfür an diesem Rezept (Tabelle auf S. 12), das extra für Gewebekultur zuhause erstellt wurde: https://4h.extension.illinois.edu/sites ... niques.pdf
Das ist ein Alles-in-eins-Rezept für die Zucht in EINEM Medium (nicht in zwei), wird also sicherlich nicht für alles geeignet sein. Aber es ist ein Anfang. Anstatt von Leitungswasser werde ich aber destilliertes (oder zumindest destillatgleiches) Wasser verwenden – unser Wasser hier hat wirklich viele Mineralien drin. Ausserdem werde ich wohl den PH-Wert der Flüssigkeit testen und ggf. mit Essig oder Natron ausgleichen. Optimal ist ein PH-Wert zwischen 5.5 und 5.9. «Thiamine» ist Vitamin B1, Inosit läuft auch unter «Muskelzucker» und der dort beschriebene Dünger ist ein Universaldünger NPK mit 10 Teilen Stickstoff (Nitrate), 10 Teilen Phosphat und 10 Teilen Kaliumoxid. Die Vitamintablette, das Inosit und der Dünger dienen als Ersatz für das Zeug, das im MS0 und in den Nährstoff- und Hormonmixen drin ist. Und der Zucker ist unsere Kohlenhydratquelle. Wenn das alles fertiggekocht ist, lässt man es abkühlen und bewahrt es noch ca. einen Tag im Kühlschrank auf, damit sich das Medium in den Gläschen setzen kann. Scheinbar hält sich das im Kühlschrank auch wohl ein Weilchen. Wie genau ich das zusammenbrutzle, folgt, wenn ich mit dem Versuch endlich starten kann.
2. Initiation
Von der Stammpflanze wird der Teil abgeschnitten, der für die Vermehrung am besten geeignet ist. Das Rezept, was ich verwende, wurde unter anderem an Zebrakraut-Triebspitzen getestet – praktischerweise habe ich das hier, also werde ich das auch wohl für meinen ersten Test verwenden. Vielleicht teste ich auch direkt noch andere Pflanzen, mal schauen, ob ich hier gerade noch mehr rumschnippeln mag. Das Schneidewerkzeug muss sauber sein und vorher desinfiziert werden. Ich beschreibe an dieser Stelle jetzt nur mal die DIY-Variante, im Labor wird das meist auch in mehreren Schritten durchgeführt: Die Triebspitze abschneiden und gut abspülen (mit Seifenwasser und mit Wasser nachspülen), die Blätter entfernen und dann für 5 in eine Lösung aus Wasser und Chlorreiniger (laut Rezept 10%, ich werde wohl eine andere Zusammensetzung benötigen, da in den USA höher dosierter Chlorreiniger verkauft wird) mit ein paar Tropfen Spülmittel geben und gut schütteln. Der Chlorreiniger killt alles, was nicht die Pflanze ist, aber auf ihr lebt, und das Spüli dient als Tensid, damit der «Dreck» nicht an der Pflanze haften bleibt. Danach wird die Triebspitze noch einmal gut mit destilliertem Wasser gespült und von der Säure verbrannte Teile werden entfernt. So werden auch die Zellen der Pflanze freigelegt, an denen dann hoffentlich neues Wachstum entsteht. Das Explanat – so heisst unser Pflanzenstück jetzt – wird dann vorsichtig ins Nährmedium gesteckt (mit Pinzette). Die offenen Teile sollten in Kontakt mit dem Medium kommen. Vorsicht: Nicht ins Glas atmen, sonst ist wieder alles voll mit Zeug, das wir nicht haben wollen. Schnell den (desinfizierten) Deckel wieder drauf und wegstellen.
3./4. Multiplikation und Anwurzeln
Jetzt kann unser Explanat wachsen. Am besten funktioniert das bei 16 Stunden Tageslicht und zwischen 23 und 24°C. Weniger Licht und niedrigere Temperaturen führen zu langsamerem Wachstum. Der Zucker und der Cytokinin- und Auxinersatz im Nährmedium helfen nun wie folgt: An den angeschnittenen Stellen bilden sich neue Triebe. Hier gilt: «Shoots before roots». Zuerst Triebe, dann Wurzeln. In unserer Ersatzlösung sollte mit ausreichend Zeit aber wohl beides funktionieren, wir brauchen hier kein zweites Medium für die Wurzelbildung (hoffentlich). Die Wurzeln sind aber erst einmal nicht so wichtig, sondern die Triebe. Sobald sich diese gebildet haben, haben wir an dieser Stelle die Möglichkeit, die Triebe abzutrennen und in neue Gläser mit Nährmedium zu verteilen und so unsere Pflanzen zu vermehren. Das nennt sich dann Subkultur (haha). So könnten wir, wenn es gut läuft, vllt. beim ersten Durchgang aus unserer einen Triebspitze 5 neue Pflänzchen klonen – und nach einem Jahr hätten wir über 15.000. :-O Dafür habe ich aber nicht genug Platz Es kann natürlich sein, dass das nicht klappt. Wenn sich Schimmel usw. bildet, kann ich den Inhalt des betroffenen Glases entsorgen. Wenn die Triebe dann anwurzeln sollen, lasse ich sie einfach noch weiter im Glas. Sobald das geschehen ist oder sich zumindest Ansätze bilden, ziehen sie um in erdfreies Substrat (z.B. Perlit oder Sphagnum-Moos), wo sie weiter anwurzeln können.
5. Akklimatisierung
Die kleinen Pflänzchen sind jetzt sehr, sehr verwöhnt. Sie kennen nur perfekte Bedingungen: Keine Krankheiten, keine Schädlinge, perfekte Temperatur, 100% Luftfeuchtigkeit…deshalb müssen sie ganz vorsichtig an das Leben in der grossen, weiten Welt gewöhnt werden. Das heisst: Keine grösseren Temperaturschwankungen und Luftfeuchtigkeit laaaangsam senken. Dazu werde ich sie wohl erst einmal in eine Plastikbox umziehen lassen, in die ich zusätzlich noch Wasser stelle. Dann wird das Extrawasser irgendwann entfernt, dann wird öfter gelüftet und irgendwann sollten sie genug abgehärtet sein, dass sie auch ohne diese Sonderbehandlung klarkommen und ausziehen dürfen.
Puh, das war jetzt erst einmal ziemlich viel (und noch nicht einmal sehr ausführlich), aber so habe ich jetzt etwas, an dem ich mich entlangarbeiten kann. Wie genau ich in den einzelnen Schritten vorgehe und was da womöglich wächst (oder auch nicht), werde ich dokumentieren.
Bitte entschuldigt die Wall of Text, aber ich musste unbedingt meine Notizen mal sortieren.
Bis nächste Woche wird hier dann wohl erst einmal Ruhe sein, bis dahin sollte ich dann hoffentlich alles zusammen haben. Aber dann kann’s losgehen – wuhu!
*Heissgetränke und Kompost verteil