1950er
Projekt: Bluse
Schnitt: FrauenFleiss Masche, Schnittmusterbogen
Datierung: 1957
Stoffe: Liberty Tana Lawn (Baumwolle bedruckt)
Musik: Platz 1 in Deutschland von Juni bis September:
Harry Belafonte - Banana Boat Song
Etwas uninspiriert, nach den 60ern sofort die 50er nachzuschieben. Deshalb wollte ich eigentlich noch ein anderes Projekt dazwischenschieben, aber seit Monaten komme ich kaum zum Nähen und mit den 1910ern tue ich mich aus diversen Gründen schwer. Das heutige Projekt ist dafür schon lange fertig, also poste ich es nun doch.
Eigentlich sollte das ja hier eine Hilfe sein, den Stoffberg abzubauen. Ein weiteres meiner Gegenmittel ist ja, mich gar nicht erst Versuchungen auszusetzen. Klappt leider nicht immer gleich gut: Vor einigen Monaten musste ich in zwei verschiedene Stoffgeschäfte, weil ich Gardinen für das neue Wohnzimmer nähen musste. Und Gelegenheit macht Einkäufe, neben Stoff für die Vorhänge und die nötigen Kurzwaren zogen auch drei Stoffe aus den Restekisten bei mir ein.

Einer davon war ca. 1m dieses sehr niedlichen Liberty Stoffes. Tana Lawn ist ein sehr fein gewobener Baumwollstoff, wie man ihn bspw. von Hemden kennt und mir gefiel sowohl die Qualität des Stoffes als auch das Muster, die stapfenden Vögel erinnern mich alle etwas an das
Mental-Health-Adler-Meme.
Mit dem Schnitt für die 50er habe ich mich etwas schwer getan. Einerseits ist es das Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, dass ich zu Beginn meiner Beschäftigung mit historischen Schnitten am liebsten hatte, andererseits auch das, dem ich mich heute am fernsten fühle und dessen Stil ich inzwischen immer schlechter in meine Alltagsgarderobe integriert bekomme. Ich wollte einfach kein Petticoat-Kleid oder einen weiten Mantel nähen, die ich dann nie anziehen würde. Aber bei so einer Bluse kann ich wohl nichts falsch machen und der Stoff reichte auch locker dafür, da sie keine Ärmel hat.
Interessant ist, dass ich den Schnitt sogar doppelt habe! Zuerst gefunden (und auch primär danach genäht) habe ich ihn in der Frauenfleiss von Juli 1957 in Gr. 40 (das Foto auf blauem Grund), beim Durchblättern anderer Hefte aus dem Jahrzehnt fand ich dann in der Günther vom August 1957 exakt dasselbe Foto, aber mit dem Schnitt für eine Nummer größer. Ich hatte kurz überlegt, beide Schnitte abzupausen oder zumindest auf dem Bogen miteinander zu vergleichen, aber das war gar nicht nötig, denn schon die Zeichnungen der Schnittteile verrieten diverse Unterschiede: Der Schnitt im Frauenfleiss hat vorne und hinten eine angesetzte Passe, die Günther verzichtet auf die hintere und hat ein durchgehendes Rückenteil (so habe ich es dann auch genäht, weil die Teilungsnaht m.E. keinen Zweck hat, wenn sie optisch – wie bei meinem Stoff – sowieso nicht auffällt). Die Blende ist bei ersterem angeschnitten, in der Günther ist der Bereich schraffiert (deutlich breiter als im Frauenfleiss) und ohne Anleitung hätte ich ein solch schraffiertes Teil als separaten Beleg gearbeitet. Letzter grosser Unterschied sind die Abnäher, Günther setzt vorne einen Brust- und einen Taillenabnäher, Frauenfleiss zwei Taillenabnäher. Welche Variante auf dem Foto zu sehen ist, ist mir nicht ganz klar. Also es scheint mir so, als habe man nicht zwingend ganze Schnittmuster zwischen den Verlagen ausgetauscht, sondern auf Basis von Fotos eigene Schnitte erstellt (ob mit Rücksprache oder nicht, wer weiss).
Aber zurück zur Bluse: Genäht war sie recht schnell, die Armabschlüsse sind mit Formstreifen verarbeitet. Während der Arbeit kam mir in den Sinn, dass ich die perfekten Knöpfe habe, zumindest vom Design her: Die Keramikknöpfe habe ich von einem Gutschein in einem
britischen Onlineshop gekauft, den ich vor Jahren bei einem Instagram-Gewinnspiel gewonnen habe. Sie passen farblich und von der Größe perfekt, leider gehen die schönen Illustrationen in dem Stoff fast unter und ein wenig Angst um die Alltagstauglichkeit habe ich auch. Aber mein Partner hatte schon recht, dass ich wohl nie wieder so ein perfekt passendes Projekt haben werde, also versuche ich es und die Bluse wird mit dem zerbrechlichen Knopfwerk wohl Handwäsche.
Die Knopflöcher haben mir dann noch etwas Kopfzerbrechen bereitet, weil ich die Knopflöcher meiner Maschine nicht so mag, mir der Stoff für handumstickte zu fein war und Paspelknopflöcher offenbar nur quer eingesetzt werden (ich hatte damals im Q&A-Thread danach gefragt). An der Passe habe ich sie schlicht weggelassen und die Riegel zusammengenäht, so verrutscht da auch nichts und ich muss mir nicht überlegen, ob ich die Knopflöcher der Rundung anpasse oder horizontal arbeite. Blieben noch drei Knöpfe, die ich für die Knopfleiste hatte (der Schnitt wollte nur zwei, aber das ist doch arg wenig und da ich fünf von den Keramikknöpfen hatte, war die Sache klar). Letztendlich habe ich vertikale Paspelknopflöcher gewagt, allerdings mit dem Unterschied, dass ich die Belegstreifen im Fadenlauf geschnitten habe (sonst werden die ja schräg geschnitten). Bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis und hoffe, dass es sich bewährt!
Unter den Armen und auch generell mag sie ein wenig weit sein (klar, Größe 40, auch wenn historische Größen kleiner sind, bei moderner Kleidung trage ich meist 36), dafür ist sie in der Taille nicht zu eng, was sonst bei einem Schnitt der Zeit schlimmstenfalls der Fall wäre. Insgesamt wirkt es auf mich, also könnte eine Bluse durchaus so weit sitzen, bei diesem Schnitt merkt man aber an den Details, dass sie etwas zu gross ist. Mit einem Gürtel in der Taille geht es aber schon besser. Blau und weiß sind nicht meine Farben, das kommt eben davon, wenn man den Stoff trotzdem zu niedlich findet.
Fazit: ein recht schnelles und problemloses Projekt ohne Zwischenfälle. Das Ergebnis ist etwas gross und trotz der lang gehegten Knöpfe und dem Stoff nicht die grosse Liebe. Aber mal sehen, inzwischen ist es ja warm und ich kann sie tatsächlich anziehen, vielleicht wird sie ja doch mehr getragen, als ich aktuell befürchte.
Wer also näht, der weiß auch, wie man trennt.
Elizabeth Barrett-Browning
Der Mangel an "ß"s in meinen Posts ist auf die Schweizer Rechtschreibung sowie Tastaturbelegung zurückzuführen.